STRACK-ZIMMERMANN-Interview: Die Sicherheit der Ukraine hat auch mit unserer Sicherheit zu tun
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Mi., 20.08.2025 – 15:10
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Europäischen Parlaments und Leiterin der FDP-Delegation im Europäischen Parlament Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann MdEP gab „wirtschaftswoche.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Daniel Goffart:
Frage: Frau Strack-Zimmermann, die Spitzen der EU sind nach Washington gereist, um bei US-Präsident Donald Trump ihren Platz am Verhandlungstisch in Sachen Ukraine geltend zu machen. Ist das gelungen?
Strack-Zimmermann: Das inzwischen eingeübte Buckeln vor Trump ist wirklich schwer verdaulich, ebenso wie der Kotau in Handelsfragen. Das Muster war auch jetzt beim Treffen im Weißen Haus zu beobachten. Ich nehme es inzwischen hin, ebenso wie die absurden Erörterungen über den Kleidungsstil des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Ich stelle mir wirklich vermehrt die Frage: In welcher bescheuerten Welt leben wir eigentlich? Da kämpfen die Ukrainer ums Überleben und wir unterhalten uns über den Kleidungsstil ihres Präsidenten?
Frage: „Buckeln vor Trump“, wie Sie sagen, bedeutet ja nichts anderes, als dass Europa in der Ukrainefrage nur noch am Katzentisch der Weltpolitik sitzt. Stimmt das wirklich?
Strack-Zimmermann: Europa ist nicht der Hauptakteur in diesem Konflikt, aber der Krieg findet in Europa statt und berührt damit auch unsere Sicherheit. Das heißt, ohne Europa wird es keinen verlässlichen Frieden geben. So gesehen war das gemeinsame Auftreten der Europäer in Washington schon sehr wichtig und hat Trump sicher auch imponiert. Zumal die Regierungschefs auch noch vom Nato-Generalsekretär und der EU-Kommissionspräsidentin begleitet wurden. Da hat Trump möglicherweise vor Augen geführt bekommen, dass er die Ukrainefrage nicht einfach mit Putin über den Kopf der Europäer hinweg entscheiden kann.
Frage: Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Zwischenergebnis dieses Treffens?
Strack-Zimmermann: Insgesamt ist das Ergebnis überschaubar. Das lässt sich ja schon an der Freude darüber ablesen, dass es im Weißen Haus keinen Eklat gab. Das wiederum zeigt, wie bescheiden unsere Erwartungen an die amerikanische Politik inzwischen geworden sind. Wirklich ins Auge sticht die Tatsache, dass offenbar ziemlich konkret über Sicherheitsgarantien für die Ukraine gesprochen wurde. Auffällig war auch, dass Bundeskanzler Friedrich Merz seine Meinung in Bezug auf einen Waffenstillstand als Voraussetzung für weitere Gespräche geändert hat. Inzwischen ist er auf die europäische Linie eingeschwenkt, wonach ohne ein Ruhen der Kampfhandlungen keine Fortschritte in einem möglichen Friedensprozess erreicht werden können.
Frage: Werden die USA auf diese Linie einschwenken?
Strack-Zimmermann: Angesichts der Wankelmütigkeit von Trump und seiner häufigen Meinungswechsel habe ich meine Zweifel. Die EU muss da jetzt sehr konkret werden. Wenn die Ukraine schon nicht Mitglied in der Nato sein kann, ihr stattdessen aber Sicherheitsgarantien analog dem Beistandsversprechen in Artikel 5 des Nato-Vertrags gegeben werden sollen, dann bedeutet das vermutlich nichts anderes, als gegebenenfalls europäische Truppen in die Ukraine als Schutz zu entsenden.
Frage: Noch bevor über verschobene Grenzen oder Waffenstillstandslinien gesprochen wird, soll eine Pufferzone gebildet werden. Die USA wollen keine Truppen zur Sicherung entsenden. Das wird also allein Aufgabe der Europäer?
Strack-Zimmermann: Das ist so. Denn was bedeutet es, der Ukraine im Fall eines Friedens „Sicherheitsgarantien“ zu geben, so wie Bundeskanzler Merz es fordert? Das heißt doch nichts anderes, als am langen Ende europäische Truppen dort zu stationieren, um Putin die Lust zu nehmen, nach ein paar Jahren Luft holen erneut angreifen zu lassen.
Frage: Soll dann auch Deutschland Soldaten schicken?
Strack-Zimmermann: Wenn Frankreich und Großbritannien bereit dazu sind, mit weiteren europäischen Partnern die ukrainische Grenze zu russischem Gebiet zu sichern beziehungsweise dort eine Pufferzone zu bilden, dann wird Deutschland sich dem kaum entziehen können. Zumal Bundeskanzler Merz ja den Anspruch erhebt, an dieser Stelle Führung übernehmen zu wollen. Alle reden über Frieden und wünschen sich ein Ende des Tötens. Aber Merz muss den Menschen dann auch offen sagen, welche Konsequenzen es hat, der Ukraine „Sicherheitsgarantien“ zu versprechen.
Frage: Was wäre erforderlich?
Strack-Zimmermann: Ich erwarte von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, dass er ein Konzept dafür vorlegt. Geht das auf Kosten der deutschen Brigade, die gerade in Litauen aufgestellt wird, oder können wir beides stemmen? Es stellen sich eine Reihe von Fragen, die die Bundesregierung dringend beantworten und den Menschen in Deutschland erklären sollte. Den Bürgern kann man vieles zumuten, man muss es ihnen nur erläutern und immer wieder darauf hinweisen, dass die Sicherheit der Ukraine unmittelbar auch mit unserer Sicherheit zu tun hat.
Frage: Präsident Trump will keine Militärhilfe mehr geben, sondern die von der Ukraine benötigten Waffen an die Europäer verkaufen, die sie dann an die Regierung in Kiew weiterleiten. Widerspricht das nicht dem Ziel einer europäischen Aufrüstung mit einer einheitlichen europäischen Verteidigungsindustrie?
Strack-Zimmermann: Europa ist bezüglich Waffenlieferungen am Limit, denn es muss natürlich noch militärisches Material für die Ausbildung unserer Soldaten vor Ort bleiben. Deshalb ist es grundsätzlich nicht zu kritisieren, wenn die europäischen Staaten in den USA vor allem Flugabwehrsysteme einkaufen und sie zum Schutz der ukrainischen Bevölkerung an die Ukraine weiterreichen. Trump möchte seinen Wählern schlichtweg nicht mehr erklären müssen, warum die USA Milliarden für die Ukraine ausgeben. Das ist die eine Ebene, aber es gibt noch eine zweite …
Frage: … und die wäre?
Strack-Zimmermann: Wir statten gerade die europäischen Armeen vermehrt mit europäischer Technik aus. Das Ziel sollte sein, dass in den kommenden Jahren die militärische Ausrüstung zu mindestens 70 bis 75 Prozent europäisch ist. Das gilt auch und besonders für die Technik, Cyberattacken abzuwehren und Aufklärung sowie Zielgenauigkeit aufzubauen. Diese Fähigkeiten liegen so gut wie alle in den Händen amerikanischer Unternehmen. Das muss sich ändern, wollen wir uns unabhängig von den Vereinigten Staaten machen.
Frage: Was muss noch getan werden?
Strack-Zimmermann: Wir brauchen in Europa auch schnellstmöglich einen militärischen Binnenmarkt. Es muss endlich die Bürokratie abgebaut werden, auch wenn es darum geht, militärisches Material von Land zu Land oder von Bundesland zu Bundesland zu transportieren. Das muss jetzt immer wieder deklariert werden und das kostet unvorstellbar viel Zeit, die wir nicht haben. Zudem ist der Militärsektor hochrelevant für die technologische Weiterentwicklung auch in der zivilen Industrie. Ohne militärische Forschung gäbe es zum Beispiel kein Internet und kein GPS.
Frage: Falls ein Frieden gelingt, stellt sich die Frage, wer den Wiederaufbau in der Ukraine bezahlt. Sollten dafür nicht die eingefrorenen russischen Vermögenswerte verwendet werden?
Strack-Zimmermann: Die in Europa eingefrorenen russischen Gelder müssen komplett dafür genutzt werden. Das Argument, dass bei einer endgültigen Beschlagnahmung der eingefrorenen russischen Vermögen zugunsten der Ukraine der europäische Geldmarkt für Kunden nicht mehr interessant sei, ist dummes Zeug. Es geht schließlich um ein mörderisches Regime, das über Leichen geht. Wenn die Banker von Vertrauen und Verlässlichkeit reden, dann frage ich sie im Gegenzug: Warum bauen sie auf die Verlässlichkeit eines Kriegsverbrechers? An dem Wiederaufbau muss sich Russland beteiligen, und sei es durch die Einziehung seines Auslandsvermögens. Aber auch ganz Europa muss helfen. Nicht nur mit Geld, sondern auch mit konkretem Handeln. Ich erinnere daran: In Deutschland ist es nach dem Zweiten Weltkrieg nur gelungen, weil uns viele Nationen unterstützt und auf die Bevölkerung gesetzt haben.